Träume - Kurze Geschichten

7 – Tode

 

oder

 

Der Fluch des Königs

 

 

Prolog

 

Ausgrabungsstätte Mayapan, Halbinsel Yucatan Mexiko

 

Vorsichtig nahm Paolo Jimenez die letzten Steine aus der Türöffnung, legte diese zur Seite, während Ruiz Sanches die Brocken in einen Schubkarren packte und dessen Inhalt auf einen Haufen in der Nähe der Pyramide entleerte.

Endlich war der Eingang freigelegt und Jorge Chivas, der Kurator des Museo del Templo Mayor, seine Stirnlampe einschaltete und sich anschickte den Raum zu betreten.

Nur durch Zufall war diese kleine Pyramide des Volkes der Maya entdeckt worden. Als der Bereich um die Kukulkan-Pyramide weiträumig erweitert werden sollte, war man auf eine Art Weg gestoßen der von der großen Pyramide tiefer in den Regenwald führte. Steinplatte um Steinplatte wurde freigelegt und plötzlich standen die Arbeiter vor einer völlig überwucherten Pyramide, die den Augen der Forscher bislang verborgen geblieben war.

Das Bauwerk wurde von der dicken Schicht Erde und Vegetation befreit und stellte sich als kleine Sensation dar. Die Stufen zierten zahlreiche Abbilder von  König 18 – Kaninchen. Soweit nördlich hatte man nicht damit gerechnet, Bauwerke dieses Monarchen zu finden.

Und nun betrat seit hunderten von Jahren zum ersten Mal wieder ein Mensch den Raum auf der Pyramidenspitze.

Jorge Chivas schritt als erster unter dem verzierten Türsturz hindurch, Paolo und Ruiz folgten ihm, Paolo mit eingeschalteter Videokamera. Nur notdürftig leuchteten die Stirnlampen den dunklen Raum aus. Er schien auf den ersten Blick leer zu sein, aber dann entdeckte Jorge zwei Sockel an der hinteren Wand.

„Seit vorsichtig!“, ermahnte er die beiden Arbeiter.

Er näherte sich dem rechten Sockel und richtete voller Freude den Strahl seiner Lampe auf das Objekt, das auf dem Sockel thronte – eine etwa 50 Zentimeter hohe Vase mit Deckel.

„Dios mio, welch ein Fund!“, sagte der Kurator.

Paolo schritt mit der Kamera um den Sockel herum und filmte. Jorge schritt um den Sockel herum.

„Wir sehen hier ein Objekt aus der Zeit des Königs 18 – Kaninchen, etwa um das achte Jahrhundert nach Christus!“

Jorge wandte sich um und wollte auch die Vase auf dem linken Sockel in Augenschein nehmen. Ruiz trat zurück und machte dem Kurator Platz. Auch Paolo machte einen Schritt zurück und wollte die Kamera auf die andere Vase richten.

Da passierte das Unglück! Paolo trat auf einen kleinen Steinbrocken, der am Boden lag. Er knickte mit dem linken Fuß um und fiel gegen den Sockel.

Mit einem lauten Klirren zerbrach die Vase auf dem Boden.

„Porco dio!“, schrie Jorge auf. „Kannst du denn nicht aufpassen, diese Vasen sind unbezahlbar!“

Aber es war zu spät!

Nun konnten sie nur noch die Scherben des Objektes bergen, im Museum in Mexiko-Stadt würde man versuchen die Teile wieder zusammen zu setzen. Doch die Einzigartigkeit dieser Entdeckung war trotz des Schadens unbestreitbar!

 

Kapitel 1

 

Historisches Museum, Speyer Deutschland

 

Vorsichtig nahm Tobias Haberdank das kostbare Stück aus der Kiste und stellte es auf seinen Arbeitstisch.

Was für ein schönes Stück! dachte er. Spätes achtes Jahrhundert etwa.

Die Vase war erst heute Morgen aus Mexiko eingetroffen und sollte in die Mayaausstellung des Museums eingegliedert werden.

Fasziniert betrachtete Tobi das seltene Stück. Reich bemalt und die Farben waren auch noch gut zu erkennen.

So richtig konnte er nicht verstehen, warum die Mexikaner sich so schnell von diesem Stück getrennt hatten, war es doch erst vor wenigen Tagen in einem Tempel in Mayapan entdeckt worden.

Natürlich hatte er die Gerüchte gehört. Die Vase sollte verflucht sein, angeblich wären 2 Arbeiter nach ihrer Entdeckung spurlos verschwunden und auch ein Fluggast aus der Maschine mit der die Vase nach Deutschland transportiert worden war.

So ein Quatsch! Verflucht!? Genau wie das Grab des Tut-ench-amun! Hatte sich auch als unwahr herausgestellt.

Tobi musterte die Bilder auf der Vase und auch die Schriftzeichen, die sich über die gesamte Oberfläche verteilten. Die Schrift der alten Maya war schon etwas sehr besonderes. Sie setzte sich aus Bildzeichen und Silbenzeichen zusammen. Manche der Hieroglyphen standen für Dinge, andere für Silben.

Tobi konnte auch einige Zahlen auf der Vase erkennen.

Vorsichtig drehte er die Vase und betrachtete die Bemalung auf der anderen Seite.

Ein wundervolles Stück!

Die nächsten Tage würde er die Inschriften entziffern und für den Katalog übersetzen. Schließlich hatte er in Mesoamerikanischer Geschichte promoviert und war inzwischen Co-Kurator des Museums. Friedhelm Meerz war sein Mentor und Chefkurator des Museums.

Tobi warf einen letzten Blick auf die Vase und war von neuem fasziniert von der Symmetrie und Schönheit der Bemalung. Nur Eines konnte er sich nicht erklären! Was bedeuteten die vier Hieroglyphen auf dem Fuß der Vase? Sie schienen da irgendwie nicht hinzugehören, sie störten das Gesamtbild!

Aber damit würde er sich morgen beschäftigen!

Tobi stand auf, löschte das Licht im Raum und verließ diesen. Er verschloss die Tür seines Arbeitsraumes, ging hinauf in die Haupthalle des Museums und verließ das Museum – Feierabend.

 

Die Glocke der evangelischen Kirche schräg gegenüber des Museums schlug Mitternacht, als Fritz Lang seine Runde durch das leere Museum drehte.

Fritz war 63 Jahre alt und seit über 20 Jahren als Nachtwächter im Museum tätig. Und er war der Inbegriff von Pünktlichkeit, nie war erzu spät zum Dienst erschienen,

Er durchschritt die Ausstellungsräume im Erdgeschoss. Alles ruhig!

Dann stieg er die Treppe hinab in das Untergeschoss, in dem sich die Arbeitsräume der Mitarbeiter und die Lagerräume befanden. Die Büros waren im ersten Stock angesiedelt, diese Räume kontrollierte er immer zuletzt.

Fritz ging die dunklen Gänge entlang und ließ den hellen Strahl seiner Taschenlampe hin und her wandern. Kein Laut war zu hören, mucksmäuschenstill wie gewohnt!

Zufrieden rückte Fritz den Gürtel seiner Uniform zurecht, vielleicht sollte er mal etwas gegen sein Übergewicht unternehmen!

Er bog um die letzte Ecke und strebte der Treppe entgegen.

Plötzlich stutzte er!

Unter einer der Türen floss ein heller Lichtschein hervor.

Da hat wohl jemand vergessen das Licht auszumachen!  dachte er.

Fritz ging zu der fraglichen Tür und drückte die Klinke herunter. Verschlossen!

Er löste sein Schlüsselbund vom Gürtel und öffnete mit dem Hauptschlüssel das Schloss der Tür. Dann trat er in den Raum. Und blieb wie angewurzelt stehen!

Obwohl die Deckenlampen ausgeschaltet waren, herrschte im Raum nicht die zu erwartende Dunkelheit. Hell erleuchtet lag der Arbeitsraum vor dem Nachtwächter und das Leuchten kam von dem Objekt, welches auf dem Arbeitstisch stand.

Völlig im Banne des Lichtscheins ging Fritz näher zum Tisch heran und betrachtete das hell strahlende Ding auf der Tischplatte.

Eine Vase die leuchtet!

Er beugte sich näher an die Vase heran und musterte die Bilder und Schriftzeichen.

Sieht alt aus! dachte er, aber eigentlich Alles, was es hier im Museum zu sehen gab, war alt.

Könnte an den Farben liegen, vielleicht leuchten die im Dunkel. Von soetwas hatte er schon mal gehört. Fluroz….Dingsda , ja genau, nur das Wort fiel ihm gerade nicht ein.

Egal, soll es leuchten, Hauptsache das Licht ist aus!

Er richtete sich wieder auf und wollte gerade kehrtmachen, als das Licht plötzlich schwächer wurde.

Ah, es lässt schon nach!

Er drehte sich von der Vase weg und machte einen Schritt in Richtung Tür.

Hinter ihm versiegte das Leuchten der Vase langsam, es wurde dunkler im Raum. Fast war das Leuchten versiegt, als Fritz den nächsten Schritt machte.

Doch dann glühte das Gefäß auf dem Tisch hell auf. Es bildete sich ein Lichtfinger, der auf den Rücken des Nachtwächters zu glitt.

Fritz machte den dritten Schritt und der Lichtfinger traf seinen Rücken.

Der Nachtwächter blieb sofort stehen.

Nun fing der Lichtfinger an zu pulsieren und erstrahlte immer heller. Die Helligkeit begann über den Körper des alten Nachtwächters zu fließen und hatte ihn kurz darauf völlig umhüllt.

Die Stärke des Lichts steigerte sich zu einem Gleißen, floss in die Vase zurück und erlosch.

Tiefe Dunkelheit erfüllte den Arbeitsraum.

Fritz Lang war spurlos verschwunden, wie auch das Licht aus der Vase!